Interview mit Mr. E-Commerce (Ali Oukassi): So sieht die Innenstadt der Zukunft aus

Die digitale Transformation verändert unser Leben in nahezu allen denkbaren Bereichen. Insbesondere das Einkaufsverhalten hat sich durch Internet, Smartphone und Co. stark gewandelt. Nicht erst seit Corona hat dies entscheidende Auswirkungen auf das Erscheinungsbild von Innenstädten. Viele der großen Kaufhäuser müssen schließen, kleinere Händler verlieren durch den Wegfall dieser Magneten Laufkundschaft und geraten ebenfalls in Bedrängnis. Die innerstädtischen Einkaufsstraßen veröden zusehends, einstige Prachtstraßen sind heute kaum noch wiederzuerkennen.

Welche Zukunft erwartet die Innenstädte also mittel bis langfristig und welche Funktionen werden sie erfüllen? In diesem Kontext haben wir Mohamed Ali Oukassi (ali-oukassi.de), dem Inhaber einer bekannten Shopware Agentur einige Fragen gestellt. Mohamed Ali Oukassi ist in der E-Commerce Szene unter "Mr. E-Commerce" bekannt, da er bereits seit über zehn Jahren beratend tätig ist und auf einen breiten Erfahrungsschatz zurückblicken kann. Folgend seine Statements zu den aktuellen Entwicklungen in der Branche:

Frage: Herr Oukassi, wie sehen Ihrer Meinung nach die Innenstädte in 50 Jahren aus?

Oukassi: Sicherlich bleibt die Antwort hier sehr spekulativ, dennoch sehen wir ja jetzt schon, wie rasant sich die Innenstädte in den letzten Jahrzehnten verändert haben. Lange Zeit über waren große Warenhäuser wie Hertie, Horten oder Karstadt die zentralen Ankerpunkte der Innenstädte. In ihrem Dunstkreis war es auch für kleinere Händler und Retailer attraktiv ein Ladengeschäft zu eröffnen und von der Laufkundschaft zu profitieren. Gerade das machte die Innenstädte auch so attraktiv für Verbraucher. Meiner Meinung nach haben es die großen Warenhausketten schlichtweg verschlafen, mit neuen Konzepten den Standort Innenstadt zu verteidigen. Mitte der 2000er Jahre, als der E-Commerce langsam Mainstream wurde, wurde mit dem Errichten von Malls und Einkaufszentren noch einmal versucht, den Verbrauchern ein besseres Einkaufserlebnis zu bieten, doch auch dieses Modell scheint mittlerweile fast überholt. Die Zukunft der Innenstädte ist meiner Meinung nach vor allem davon abhängig, inwieweit es der E-Commerce schafft den lokalen Handel zu stärken und wieder attraktiver zu machen bzw. sich beides mit einander verzahnen wird.

Frage: Wie kann E-Commerce den stationären Handel fördern?

Oukassi: Seit Jahren hört man in diesem Zusammenhang nur zwei Meinungen. Die einen behaupten, der innerstädtische Handel ist hoffnungslos verloren und wird sich langfristig nicht behaupten können, andere vertreten die Ansicht, das physische Einkaufen werde bald eine Art Renaissance erfahren. Ich hingegen bin davon überzeugt, dass Onlinehandel und physischer Handel zunehmend verschmelzen werden, sodass Kunden ein völlig neues Einkaufserlebnis ermöglicht wird. Es gibt bereits Projekte, bei denen große Unternehmen einen Onlineshop als eine Art lokale Version als stationäres Geschäft eröffnen. Diese Filialgeschäfte bieten Kunden dann wesentlich mehr als einfach nur ein Warenangebot. Kunden können dort zwar durchaus auch Produkte bestellen und auf Wunsch vor Ort abholen, aber auch Änderungen an Produkten vornehmen lassen, ganz neue Produkte oder Prototypen ausprobieren oder auch einen persönlichen Shoppingberater in Anspruch nehmen. So können E-Commerce und die physische Welt miteinander verschmelzen und Kunden die Vorteile aus beiden Welten in Anspruch nehmen.

Frage: Die Innenstadt also als eine Art Messe?

Oukassi: Ja, das beschreibt es sehr gut. Die stationären Ladengeschäfte könnten demnach vornehmlich als Ausstellungsfläche dienen, in welchen sich Kunden umfänglich über die Produkte informieren und diese auch testen können. Bestellungen könnten dann etwa per QR Code direkt vor Ort getätigt werden, Paket-Drohnen könnten die Ware dann sofort losschicken, sodass das Produkt zu Hause ist, sobald man auch heimkehrt. Das würde vor allem auch den innerstädtischen Verkehr massiv entlasten, da die Waren nicht mehr vor Ort gelagert werden müssen. Das würde die Qualität der Innenstädte massiv aufwerten und in Kombination mit Parks und anderen Verweilmöglichkeiten könnte das Shoppen tatsächlich wieder zu einem angenehmen Erlebnis werden, aber eben anders als wir es bisher gekannt haben.

Frage: Mehr Parks und weniger Straßenlärm klingt gut. Aber reicht das, um die Innenstädte nicht verwahrlosen zu lassen?

Oukassi: Sicherlich ist es auch von weiteren Faktoren abhängig, ob Innenstädte in Zukunft noch überlebensfähig sind. Den Leerstand, der bereits besteht und den Innenstädte derzeit zu erwarten haben kann keinesfalls langfristig mit neuen Geschäften ersetzt werden. Durch eine gezielte Umnutzung könnten so aber beispielsweise auch günstige Wohneinheiten geschaffen werden, wodurch automatisch wieder mehr Leben in die Innenstädte gelangen könnte. Dies wiederum würde die Innenstädte auch wieder attraktiv für Dienstleister machen. Moderne Tools wie Apps können dann dabei helfen, Termine zu koordinieren oder Kundenfragen zu beantworten. Die Innenstadt der Zukunft wird also von unterschiedlichsten Nutzungen geprägt und stark digital vernetzt sein. Durch die Verschmelzung von E-Commerce und stationärem Handel ergeben sich für beide Branchen starke Synergieeffekte, deren Potenzial man unbedingt nutzen sollte, um Kunden ein möglichst positives Shoppingerlebnis zu ermöglichen. Letztlich wird dies alles aber nur möglich werden können, wenn Akteure aus Politik, Wirtschaft und Planungswesen gemeinsam an entsprechenden Nutzungskonzepten für die Innenstädte arbeiten. Dabei müssen auch immer die individuellen Besonderheiten der jeweiligen Städte berücksichtigt werden.

Frage: Also wird es Ihrer Meinung nach auch zukünftig noch volle Innenstädte geben?

Oukassi: Auf jeden Fall. Voll mit Menschen und voll von Ideen. Der Verkehr darf gerne weniger werden. Aber alles in allem blicke ich optimistisch in die Zukunft.

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