Stadtschwärmer Leipzig
Wer keinen Insider kennt, schnappt sich dieses Buch und wird an die liebsten Orte von waschechten... Weiterlesen
Karneval, Fasching und Mottopartys: Allesamt gute Gelegenheiten, um einmal in die Rolle eines eigentlich Fremden zu schlüpfen - aber wie fremd ist die verkörperte Persona einem selbst gegenüber wirklich? Zwar nicht immer, aber auch nicht selten diktiert unser Unterbewusstsein bereits die Kostümwahl. Bevor es an den nächsten großen Leipziger Rosensonntagsumzug geht, lohnt also ein Blick in das Einmaleins der Kostüm-Psychologie.
Eine ganz neue Identität annehmen, einmal wer anders sein, vielleicht sogar in einer anderen Zeit leben: Fantasie und Träume haben schon oft genug Menschen an andere Orte und in andere Zeiten geführt, ein Abenteuer ist das allemal - auch wenn es mit dem Aufwachen (aus dem Tag-Traum) schnell wieder vorbei ist. Psychologen widmen sich schon länger, seit Jahrhunderten sogar, der Psychologie hinter Verkleidungen - nicht nur mit Hinblick auf ein bestimmtes Kostüm, sondern allen voran dem Umstand, warum wir Menschen uns überhaupt gern verkleiden. Die einhellige Meinung dazu: Der Mensch bekommt damit Gelegenheit "auszubrechen" - aus seinem Ich und der eigenen Existenz. Gewissermaßen nehmen wir uns also einen kleinen Urlaub vor uns selbst.
Kostüme für verschiedene Anlässe sind auch deshalb so wandlungsfähig: Jeder Mensch hat eine ganz eigene Vorstellung davon, wer er gerade sein möchte - und das kann durchaus schnell umschlagen. Diese Rollen-Adaption ist weder neu noch auf Kostüme beschränkt. Als rund um die 00er-Jahre immer mehr schwarze Kluften in Leder und schmale Sonnenbrillen auf den Straßen Leipzigs auftauchten, war das natürlich der Popularität von "Matrix" geschuldet. Auch Film- und Buchcharaktere wie Patrick Bateman aus American Psycho haben ganze Männergenerationen beeinflusst, wenn auch nicht unbedingt auf positive Art und Weise - Batemans ikonisches Kostüm, mit transparentem Regenmantel und blutiger Axt, ist heute noch ein Karnevals-Dauerbrenner.
Zum perfekten Karnevals- und Faschings-Look gehören drei Dinge: Das eigentliche Kostüm, das passende Make-up und idealerweise noch eine Adaption der typischen Verhaltensweisen, die mit dem dargestellten Charakter assoziiert werden. Weil die beiden letztgenannten Sachen in Abhängigkeit zur gewählten Verkleidung stehen, lohnt es sich da anzusetzen.
Was könnte ein Kostüm über einen selbst verraten? Vorweg: Das ist natürlich allesamt nur Hobby-Psychologie und bedeutet nicht, dass jeder Mensch, der ein bestimmtes Kostüm anzieht, tatsächlich solchen (Vor-)Urteilen unterstehen muss. Aber die Deutung und die Frage nach dem "Warum?" gehören ja auch ein wenig zum Spaß des Verkleidens.
Männer, die sich als Sheriff, Polizist oder Geheimagent verkleiden, könnten sich beispielsweise nach etwas mehr Macht und Dominanz sehnen - oder haben schlicht Lust einen Abend lang einmal die Autoritätsfigur zu geben. Der Cowboy hingegen möchte, oft als heroischer Gesetzesbrecher dargestellt, seine Freiheit genießen - und ist ein bisschen wie ein Flirt mit dem Risiko.
Wer sich als sexy Krankenschwester verkleidet, ist im realen Leben abseits dieser Verkleidung vielleicht genau das Gegenteil davon. Das gilt generell für viele Verkleidungen: Menschen wählen bewusst Verkleidungen, die eigentlich nicht ihrer wirklichen Persona entsprechen, eben weil sie einmal etwas völlig Neues ausprobieren möchten. Im echten Leben ist die verkleidete sexy Krankenschwester vielleicht eher bieder und interessiert sich gar nicht für die Aufmerksamkeit von Männern (oder Frauen).
Der verkleidete Pirat ist ähnlich dem Cowboy. Beide Kostüme sind zeitlose Dauerbrenner. Obwohl sie also Risiko und Waghalsigkeit darstellen, sind ihre Träger meistens gar nicht waghalsig oder risikofreudig - weshalb sie eines der klassischsten Kostüme überhaupt wählten. Frei nach dem Motto: Damit fällt man schon nicht zu stark auf und macht nichts falsch. Das kann auch für zeitlose Evergreens wie Clowns-Kostüme gelten. Da gibt es zudem noch das Vorurteil, dass deren Träger womöglich gar nicht so glücklich sind, wie die Rolle vermuten lassen würde.
"Hässliche" Kostüme, beispielsweise buckelige Hexen oder halb verweste Zombies, beweisen hingegen Mut. Sich bewusst als ein hässlicher Charakter zu verkleiden, erfordert zugleich eine gesunde Portion Selbstbewusstsein - schließlich nehmen alle anderen Gäste einen selbst dann als hässlich war, was ja die Idee hinter dem Kostüm ist. Abseits der Verkleidung sind das meist Personen, die sich im echten Leben nicht so schnell aus der Bahn werfen lassen. Weshalb es denen ganz egal ist, wenn sie einen Abend lang als hässliches Ungeheuer herumlaufen.
Das Gegenteil davon sind besonders schöne, mitunter auch heroische Kostüme. Beispiele dafür wären Barbie und Ken, Superman oder Prinzessinnen. Diese könnten auf Narzissmus hindeuten. Ob verkleidete Frau oder Mann, einen Abend lang wollen sie zumindest in verkleideter Form einmal der/die Schöne, der Held oder die angehimmelte Prinzessin darstellen. Personen hinter den Kostümen könnten narzisstisch veranlagt sein, vielleicht sind sie aber auch nur sehr schüchtern und nehmen sich selbst in ihrem eigentlichen Ich gar nicht als der große Superstar wahr, dessen Verkleidung sie gerade tragen.
Wer sich sein Kostüm komplett selbst bastelt, beweist übrigens einen ausgeprägten Hang zu Kreativität und eine starke Persönlichkeit. Diese Menschen nehmen ihr Schicksal, wenn hier auch nur für den nächsten Faschingsumzug oder die nächste Mottoparty, vermehrt selbst in die Hand.
Kostüm-Psychologie sollte man natürlich nie zu ernst nehmen. Zwar können die Verkleidungen Rückschlüsse auf die Wünsche und den Charakter ihrer Träger zulassen, manchmal ist es aber auch einfach nur ein Kostüm, das gerade schnell zur Hand oder noch im Schrank war.