Die HTWK Leipzig lädt am 7. November 2024 zum „Heroes of Publishing – Tag der Verlage“ ein. Das Motto: „#NewAdult – So viel mehr als nur ein Genre“. Ein Gespräch mit Marketing- und Medienprofessor Heiko Hartmann
New Adult ist eine Bezeichnung für ein wachsendes Programmsegment von Liebes- und Fantasy-Romanen. Autorinnen wie Colleen Hoover, Mona Kasten und Lilly Lucas füllen mit Büchern wie „Save me“ oder „It starts with us“ die Regale von jungen, meist weiblichen Leserinnen. Heiko Hartmann, Professor für Marketing in Medienunternehmen an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK Leipzig) verfolgt interessiert das Phänomen, das den Buchmarkt aktuell in Bewegung versetzt und vor allem im Zusammenspiel von Social Media, Autorinnen und Leserinnen neue Regeln aufstellt. Gemeinsam mit Studierenden der „Buch- und Medienwirtschaft“ im Modul „Kommunikationsmanagement“ lädt er am 7. November 2024 zum „Heroes of Publishing – Tag der Verlage“ an die HTWK Leipzig ein und diskutiert das Phänomen mit Verlegerinnen und Autorinnen.
Was bedeutet New Adult in der Literatur und wen sprechen diese Bücher an?
Heiko Hartmann: In Abgrenzung zum Jugendroman (Young Adult) hat sich New Adult in den letzten zehn Jahren am Buchmarkt in den USA und in Europa etabliert und spricht im Kern Leserinnen von 18 bis 25 Jahren an. Es handelt sich um klassische Genreliteratur mit feststehenden Handlungs- und Personenkonstellationen, in der es vor allem um das große Gefühl Liebe geht, vergleichbar etwa mit den schlichten Erzählschemata der altbekannten Heftromane.
Groschenromane hatten bereits im 19. Jahrhundert ihren Aufschwung: Was ist bei New Adult anders?
H: Es handelt sich um ein Phänomen des 21. Jahrhunderts, denn das Genre ist eng verknüpft mit den sozialen Medien. Die Autorinnen sind vor allem bei TikTok sehr engagiert und agieren dort als Influencerinnen mit großer Reichweite. Neuerscheinungen bewerben sie unter anderem, indem sie schauspielerisch in die Rollen ihrer Figuren schlüpfen. Sie gewähren ihren Leserinnen Einblicke in ihr Privatleben und interagieren intensiv mit der Leserschaft. Für Fans wiederum bieten die Autorinnen und deren Geschichten Identifikationsflächen. Neben alterstypischen Interessen wie Liebe, Selbstfindung und Identitätssuche ist Eskapismus, also Realitätsflucht, ein wichtiger Aspekt des Erfolgs von New Adult. Denn die Sehnsuchtsliteratur ermöglicht ein Ausbrechen aus der Realität in krisenhaften, komplizierten Zeiten – das war schon immer so. Viele Menschen sind auch heute überfordert, sei es von der Nachrichtenflut, von Kriegen und Krisen, von der Leistungsgesellschaft oder vom Selbstoptimierungswahn. Viele suchen dann in der Literatur eine Gegenwelt dazu.
Was ist für Forschung und Lehre interessant an New Adult?
H: In meinen Seminaren greife ich gerne aktuelle Themen auf – und viele der Studierenden sind genau die Kernzielgruppe von New Adult. Von ihnen kam auch der Themenvorschlag für den diesjährigen „Heroes of Publishing – Tag der Verlage“. Mit dem Genre kommt unter jungen Menschen ein neues Interesse an Literatur auf. New Adult führt regelrecht zu einer Rückkehr zur traditionellen Buchkultur. Denn eigentlich sind die Verkaufszahlen auf dem Buchmarkt seit Jahren rückläufig, besonders in der Gruppe junger Erwachsener. Nun verkaufen sich die Bücher in diesem Genre zum Teil plötzlich sechsstellig. In den vergangenen Jahren hat der deutsche Buchhandel 6 bis 7 Millionen Buchleser und -käufer verloren, unter anderem durch die Konkurrenz von Streamingdiensten wie Netflix oder interaktiven Computerspielen. Und trotzdem ist der Markt 2023 auf ein Umsatzniveau von 9,7 Milliarden Euro gewachsen, und zwar unter anderem durch New-Adult-Titel. Schon allein deshalb ist es interessant zu ergründen, welche Prozesse dahinterliegen. Spannend ist auch, dass wir im Marketing gelernt haben: Produkte brauchen stets einen Unique Selling Point („USP“), ein spezifisches Alleinstellungsmerkmal. Diese Regel gilt in diesem Segment so eindeutig nicht. Die Geschichten der New-Adult-Romane sind relativ austauschbar und klischeehaft. Immer wieder wird hier ein ähnliches Schema bedient, das aus so genannten tropes besteht, z.B. enemies to lovers, love triangle oder office romance. Auch die Buchcover folgen in Farbe und Design einem bestimmten einheitlichen Genrecode mit viel Lila, Handlettering und Glitzer. Wichtigster USP sind dagegen oft die Autorinnen selbst, nicht zuletzt wegen ihrer reichweitenstarken Social-Media-Profile.
Was macht diese Bücher so erfolgreich?
H: Das Marketing ist in diesem Segment sehr ausgefeilt: Zunächst erscheinen Erstauflagen in der Originalsprache, meist auf Englisch. Dann kommen deutschsprachige Lizenzausgaben auf den Markt mit Farbschnitten, transparenten Schmuck-Einlagen, Briefen der Autorinnen, Character Cards und ähnlichen aufwertenden Zugaben. Im Übrigen ist dies eine Entwicklung, die den Verlagen nicht nur Freude bereitet, denn die Produktion der aufwendigen Veredelungen und Farbschnitte verdoppelt die Herstellkosten. Aber sie steigern natürlich den emotionalen Mehrwert und schaffen Sammelobjekte. Später folgt vielleicht noch eine einfacher ausgestattete Taschenbuchauflage, die sich viele zusätzlich kaufen, um sich darin Notizen zu machen. Fans haben also zum Teil drei Ausgaben desselben Titels im Regal stehen. Es handelt sich um ein ausgesprochen emotionales Phänomen – und der Glutofen ist TikTok. Manche Buchhandlungen haben inzwischen ganze Regalwände mit New-Adult-Titeln eingerichtet. Auf der Frankfurter Buchmesse war zum Beispiel 2023 bei Autogrammstunden der beliebtesten Autorinnen Sicherheitspersonal ähnlich wie bei Musikstars vonnöten. Die Buchmesse entschied sich in diesem Jahr deshalb dafür, für New Adult eine eigene Halle einzurichten. Die ganze Entwicklung ist für den Buchmarkt natürlich sehr positiv und eine Riesenchance. Immer mehr Publikumsverlage gründen deshalb eigene New-Adult-Imprints, sogar Literaturverlage wie Aufbau oder Ratgeberverlage wie Gräfe & Unzer. Eigentlich ist New Adult kein Genre im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine Zielgruppe, eine internationale Community. Der Verlag Bastei Lübbe erwirtschaftet mit seinem Imprint „Lyx“ einen ganz erheblichen Umsatz. Genauso Rowohlt mit „Kyss“ und Piper mit „Everlove“. Im Grunde erleben wir gerade eine Sternstunde des Buchhandels, in der eine junge Zielgruppe mit gedruckten Büchern intensive emotionale und soziale Erfahrungen macht. Was kann sich die Branche Besseres wünschen?
Wie entwickelt sich New Adult derzeit?
H: Das Muster bleibt ähnlich, die typischen Handlungsmotive und Erzählschemata wiederholen sich. Es werden bestimmte Charaktere gezeichnet, und die Handlungen sind relativ vorhersehbar. Die Orte der Handlung sind oftmals Colleges, ein Sportklub, nordamerikanische Großstädte oder ähnliches. Es wird seit ein paar Jahren zunehmend erotischer, darf aber in diesem Genre eine gewisse Grenze der „Spicyness“ nicht überschreiten. Es gibt nun auch eine Bewegung mit queerer Literatur, manch ein Titel geht auch in Richtung Gothic oder Fantasy. Sehr beliebt ist aktuell das Subgenre „Dark Romance“ mit seiner oft düsteren Stimmung und der Schilderung psychischer Abgründe. Mittlerweile finden sich bei besonders verstörenden Handlungen vielfach Trigger-Warnungen auf den Buchumschlägen. Neu für den Buchmarkt ist, dass die originalsprachigen Exemplare, besonders aus den USA, massiv und ohne Preisbindung auf den deutschen Markt drängen und Verlagen kaum Zeit für Übersetzungen und Lizenzierungen lassen. Die HTWK Leipzig unterstützte den Verlag Ullstein „forever“ im letzten Sommersemester in einem Projekt bei der Konzeption von Maßnahmen, mit denen Verlage auf diese Bedrohung reagieren können, beispielsweise durch besonders schön ausgestattete deutsche Lizenzausgaben.
Wohin wandern die New-Adult-Lesenden, wenn sie aus der Zielgruppe hinauswachsen?
H: Da das Phänomen noch recht jung ist, wird sich das erst noch zeigen. Der Verlag Bastei Lübbe versucht derzeit, mit dem Imprint „pola“ die Zielgruppe mit Titeln, die die Lebensrealitäten junger Frauen abbilden, in die nächste Lebensphase zu begleiten und so weiter an sich zu binden. Außerdem ist es vorstellbar, dass diese Leserschaft künftig nicht nur mit Liebesromanen, sondern auch mit Fantasy-Romanen, Graphic Novels und Ratgeberliteratur angesprochen werden kann.
Wer wird beim „Heroes of Publishing – Tag der Verlage“ mit dem Thema „#NewAdult – So viel mehr als nur ein Genre“ zu Gast sein?
H: Eingeladen sind diesmal vier Verlegerinnen, ein Buchhändler und eine Autorin. Beim Tag der Verlage laden wir seit 1994 kleine, unabhängige Verlage ein und diskutieren aktuelle Branchentrends. Ein zehnköpfiges studentisches Team organisiert diese Veranstaltung, die wir traditionell gemeinsam mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels ausrichten.
Neben Studierenden des HTWK-Studiengangs „Buch und Medienwirtschaft“, für die diese Veranstaltung zum Pflichtprogramm gehört, kommen meistens zahlreiche Auszubildende des Buchhandels von der Gutenberg-Schule sowie Leipziger Buchhändlerinnen und Buchhändler und Vertreter des Börsenvereins. In diesem Jahr öffnen wir die Tagung einem größeren Publikum, indem wir passend zum Thema einen Livestream anbieten und so auch die Leserschaft, die sich beispielsweise auf TikTok informiert, abholen.