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Stresshormonpegel misshandelter Kinder untersucht

Vernachlässigung hinterlässt deutliche Spuren

30.03.2017 Wissenschaft
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In einer aktuellen Studie haben Forscher der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig den Stresshormonpegel von misshandelten Kindern untersucht. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass ihr Pegel ab einem bestimmten Alter unter dem von nicht misshandelten Kindern liegt.

Diese Reaktion hat weitreichende neurobiologische Folgen auf das Erleben und Verhalten. Die Studie wurde kürzlich im renommierten Journal of Child Psychology and Psychatry veröffentlicht.

Für die Untersuchung wurden über 500 Kinder einbezogen, etwa die Hälfte erfuhr in der Kindheit Gewalt, sexuellen Missbrauch oder Vernachlässigung - sei es körperlich, emotional oder kognitiv. "In unserer Stichprobe hatten wir sehr viele vernachlässigte Kinder. Dieser Aspekt ist in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert, wir sprechen von der 'Vernachlässigung der Vernachlässigung'. Dabei kann die Vernachlässigung von Kindern schwerwiegende Folgen haben. In unserer Studie traten für diese Gruppe die größten Effekte im Stresshormonpegel auf", sagt Dr. Lars White, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters am Universitätsklinikum Leipzig.

Um den Stresshormonpegel von misshandelten und nicht misshandelten Kindern zu vergleichen, analysierten die Forscher den Cortisol-Spiegel der Kinder im Alter von 3 bis 16 Jahren. Cortisol, umgangssprachlich auch als das Stresshormon bekannt, ist eines von vielen Stresshormonen, das dem Körper in bestimmten Situationen schnell und direkt Energie bereitstellt. Um das Hormon zu untersuchen, analysierten die Wissenschaftler die Haare der Kinder, in denen sich Cortisol über längere Zeiträume einlagert.

"Das ist ein ganz besonderer Aspekt unserer Studie, denn die Haaranalyse für Stresshormone gibt es noch nicht lange und sie wurde bislang noch nicht in einer so großen Stichprobe von belasteten und unbelasteten Kindern eingesetzt", hebt White eine Besonderheit der Untersuchung hervor. Der Vorteil der Methode: Der Cortisol-Spiegel lässt sich so über mehrere Monate hinweg beobachten und zeigt die längerfristige Anpassung des Körpers an stressvolle Situationen.

"In der Wissenschaft geht man davon aus, dass bei chronischem Stress - unter dem die misshandelten Kinder leiden - der Stresshormonpegel ab einem gewissen Punkt abfällt. Der Körper passt sich der Situation mit einer Erschöpfungsreaktion an, deswegen fällt der Stresshormonpegel dann unter den normalen Wert, womöglich auch um andere Körpersysteme vor zu großer Cortisol-Ausschüttung zu schützen", erklärt Studienleiter Dr. Lars White.

Für diese Annahme liefert die aktuelle Leipziger Studie einen guten Beleg: Misshandelte Kinder wiesen darin einen niedrigeren Cortisol-Spiegel auf als nicht misshandelte Kinder. Besonders deutlich lässt sich dieser Effekt bei Kindern mit Vernachlässigungserfahrungen und Misshandlungen im Säuglingsalter beobachten. "Wir wissen, dass vernachlässigte und misshandelte Kinder in ihrem Leben dauerhaft hohem Stress ausgesetzt sind, aber ihre biologischen Stressregulationssysteme sind zunehmend weniger in der Lage, diese Stresserfahrungen so zu regulieren, dass sie zu einem gesunden Entwicklungsverlauf beitragen", so White. Die Folgen des veränderten Cortisol-Spiegels sind gravierend: Im weiteren Verlauf kann es zu neurobiologischen Veränderungen kommen, die sich etwa in einer gesteigerten Aggressivität, Hyperaktivität oder auch Ängstlichkeit äußern.

Allerdings trat der Effekt des zu niedrigen Stresshormonpegels erst bei Kindern ab neuneinhalb Jahren auf. "Daraus ergibt sich ein Zeitfenster in der frühen Kindheit, in dem der Effekt noch nicht zu beobachten ist. Interventionen wie Therapie- und Unterstützungsangebote müssen möglichst frühzeitig, also am besten vor dem neunten Lebensjahr stattfinden, um die Lebensumstände für das Kind zu verbessern", erläutert White die Implikationen der Untersuchung für die Praxis. So könne die Erschöpfungsreaktion und damit der Abfall des Stresshormonpegels noch verhindert werden.

Die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Studie wurde unter Leitung der Leipziger Universitätsmedizin, der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Kindes- und Jugendalters unter der Leitung von Prof. Kai von Klitzing, in Zusammenarbeit mit Dr. Marcus Ising vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie, Prof. Dr. Clemens Kirschbaum und Dr. Tobias Stalderder von der TU Dresden sowie Dr. Nicolas Tsapos vom Amt für Jugend, Familie und Bildung Leipzig durchgeführt.



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