Der Sensationsfund schlummerte in den eigenen Beständen: Im Stadtarchiv Leipzig ist überraschend eine rund 1.100 Jahre alte Handschrift entdeckt worden, das mit Abstand älteste Dokument vor Ort. Oberbürgermeister Burkhard Jung und Archivdirektor Dr. Michael Ruprecht haben das Pergament jetzt erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die Handschrift bildete den Schutzumschlag eines städtischen Leichenbuches aus der Zeit von 1639 bis 1642 – das wertvolle Innenleben des Einbands wurde erst jetzt von Dr. Christoph Mackert, dem Leiter des Handschriftenzentrums der Universitätsbibliothek Leipzig, aufgespürt. In den Beständen des Stadtarchivs befinden sich zahlreiche Akten und Geschäftsbücher, deren Einbände aus wiederverwerteten mittelalterlichen Pergamenthandschriften gefertigt wurden. Um die wertvolle Ressource Pergament zu sparen, wurde sie früher häufig recycelt.
Oberbürgermeister Burkhard Jung ist begeistert: „Nun ist das passiert, was ich insgeheim schon beim Umzug des Stadtarchivs vor zwei Jahren erwartet habe: ein Sensationsfund. Das zeigt, wie ungemein wichtig und fruchtbar es ist, die Quellen unseres Archivs für Wissenschaft und Forschung zugänglich zu machen.“
Dank einer kleinen Gruppe von Spezialwissenschaftlern konnte das herausragende Fragment bereits identifiziert werden. Es gehört zu einer Handschrift, die im zweiten Viertel des neunten Jahrhunderts in der Reichsabtei Fulda entstanden ist – und es ist nicht das einzige in Leipzig. Dr. Christoph Mackert führt aus: „Dieser Fund zeigt auf ganz besondere Weise Querbeziehungen zwischen den Beständen des Stadtarchivs Leipzig und der Universitätsbibliothek, denn von derselben Handschrift haben sich in der UB weitere Fragmente erhalten, die 1927 als Schenkung des Leipziger Professors Eugen Mogk eingegangen waren. Bislang wussten wir nicht, woher Mogk diese bedeutenden Stücke hatte. Nun ist klar, dass sie wohl ebenfalls in Leipzig gefunden und abgelöst wurden. Dank des neugefundenen Fragments wissen wir nun auch, wann die Handschrift aus Fulda nach Leipzig kam und dass sie dort für Einbandmaterial makuliert wurde. Alle Puzzleteile rücken plötzlich an ihren Platz.“
Nach eingehender Untersuchung durch Professor Tino Licht von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg lässt sich nun eindeutig sagen, dass alle Leipziger Fragmente aus einer Handschrift stammen, die den Genesiskommentar des bedeutenden Klerikers und Universalgelehrten Hrabanus Maurus (gest. 856) überliefert. Dieser war Abt des Klosters, als die Handschrift in Fulda verfasst wurde. Die Bruchstücke überliefern wahrscheinlich Reste des autornahen Hausexemplars des Hrabanus-Kommentars, was sie umso kostbarer macht.
Archivdirektor Dr. Michael Ruprecht sagt: „Die Geschichte unserer Stadt wird durch den Fund nicht älter, aber es ist doch etwas ganz Besonderes, diese Handschrift einer der bedeutenden Persönlichkeiten der Karolingerzeit in unserem Magazin zu wissen. In den kommenden Jahren soll die Verzeichnung und Auswertung der anderen Einbandfragmente in Kooperation mit dem Handschriftenzentrum erfolgen und wir dürfen sicherlich auf weitere spannende Funde hoffen.“