Das Schauspiel Leipzig veranstaltet unter dem Titel „Künstlerisch.Zusammen.Arbeiten“ ein Forum über den Aspekt „der künstlerischen Gründe“ für Nichtverlängerungen im Normalvertrag (NV) Bühne. Beteiligt sind u.a. Claudia Schmitz (Geschäftsführende Direktorin Deutscher Bühnenverein), Lisa Jopt (Präsidentin Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger), Ulrich Khuon (Intendant Deutsches Theater Berlin), das ensemble-netzwerk sowie Prof. Dr. Thomas Schmidt (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main). Das Treffen findet Anfang September 2023 in Leipzig statt.
Der NV Bühne ist geltendes Tarifrecht an deutschen Theatern. Er ist der rechtliche Rahmen der überwiegend künstlerisch Beschäftigten, mit dem einerseits künstlerische Spielräume und andererseits arbeitsrechtliche Verbindlichkeit organisiert werden sollen. Kontrovers diskutiert werden wiederholt die „künstlerischen Gründe“, die unter bestimmten Umständen zur Beendigung des Vertrages führen können, zur sogenannten „Nichtverlängerung“. Um den Begriff der „künstlerischen Gründe“ herum soll das Treffen „Künstlerisch.Zusammen.Arbeiten“ bestehende Streitpunkte thematisieren, Fragen aufwerfen und Ideen skizzieren, um diesen Vertragsaspekt des NV Bühne fair und produktiv für die Zukunft zu gestalten.
Freiraum und Flexibilität gehören zur Kunst dazu. Theaterleitungen verantworten Programme und Ensembles und sollen diese für ihre künstlerische Linie ausrichten und gestalten können. In Kombination mit Künstlerinnen und Künstlern, die ihrerseits zu neuen Ufern aufbrechen, entsteht eine kontinuierliche Dynamik in den Ensembles. Immer wieder hält ein frischer Wind Einzug in stabile, gewachsene Arbeitsbeziehungen. Im Bestfall befruchtet sich beides gegenseitig. Dass sich Wege auch trennen können, liegt in der Natur der Sache. In manchen Fällen entwickeln sich künstlerische Beziehungen auseinander. Wie sind solche Momente zu bewerten? Wie kann es einen fairen Umgang damit geben? Wie lässt sich in diesen Situationen Professionalität sicherstellen? Und wie kann die verbleibende gemeinsame Zeit gut miteinander verbracht werden?
Mit der Veranstaltung soll diskutiert werden, wie sich die Reflexion künstlerischer Arbeit zukünftig weiterentwickeln ließe, um Wege einer verbesserten Praxis dafür zu erörtern. Dies aus den verschiedenen Perspektiven und Sichtweisen zu beleuchten und zusammenzutragen, möchte das Schauspiel Leipzig einen Raum geben.
Enrico Lübbe, Intendant des Schauspiel Leipzig: „Ich finde es wichtig, wenn ein Prozess starten würde, der unterschiedlichste Stimmen und Ideen sammelt. Deswegen ist es mir wichtig, dass viele beteiligte Seiten zu diesem Thema in Leipzig zusammenkommen. Wie eine künstlerische Zusammenarbeit die nächsten Jahre aussehen kann, ist für die gesamte Theaterlandschaft in Deutschland eine der grundlegenden Fragen.“
ensemble-netzwerk: „Es geht auch um die Kraft des Selbstverständnisses und der Selbstermächtigung derjenigen, die ihr Leben dem Theater gewidmet haben. Die Nichtverlängerung aus „künstlerischen Gründen“ hat sich in unzähligen Beispielen als Sollbruchstelle der schöpferischen Existenz bewiesen und zu einem Gefühl der Abwertung geführt. Das kann nie im Sinne eines Kunstraumes sein, der von der Stärke der Macher*innen abhängig ist. Wir müssen darüber reden. Es gibt eine historische Chance, Glaubenssätze zu überdenken, die sich nachweislich nicht bewährt haben.“
Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins: „Für kreative Prozesse verabredet man sich für eine Kooperation auf Zeit. Zusammenarbeit und Miteinander, Engagement und Trennung richten sich allerdings nicht nur nach tariflichen Vorgaben, sondern auch nach Werten, wie sie im Wertebasierten Verhaltenskodex des Deutschen Bühnenvereins hinterlegt sind und an den Bühnen täglich in die gelebte Praxis umgesetzt werden.“
Prof. Dr. Thomas Schmidt, Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main: „Ich glaube nicht, dass der NV Bühne zukunftsfähig ist. Seine Belastung mit den Begriffen ungerecht, neoliberal und Kettenarbeitsvertrag und die über 30.000 Nichtverlängerungen in den letzten 50 Jahren Theatergeschichte drängen auf eine Neubewertung. Es braucht einen neuen Theater-Einheitsvertrag, der die Verträge der drei großen Gruppen der Theater-Mitarbeiter*innen – Künstler*innen, Musiker*innen und Technik/Administration - unter ein Dach bringen soll. Wie man in diesem Modell mit einer Vertragskündigung oder -Auflösung umgeht und welche Rolle hier der Begriff der Nichtverlängerung aus künstlerischen Gründen spielen wird, sollte von den Tarifparteien und den Mitarbeiter*innen neu verhandelt werden.“
Lisa Jopt, Präsidentin der GDBA: „Ein Fachtag für die Analyse von „künstlerischen Gründen“ ist eine sehr gute Idee, dieses Thema muss bundesweit diskutiert werden, denn so wie es ist, kann es nicht bleiben.“
Ulrich Khuon, Intendant Deutsches Theater Berlin: „Wir sollten jede Gelegenheit nutzen, Verabredungen und Vereinbarungen darüber zu treffen, wie wir unsere oft dürftige Realität näher an die Utopie „Künstlerisch. Zusammen. Arbeiten“ heranbringen können.“