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Film: Farbtest. Die Rote Fahne, Gerd Conradt FRG 1968 | 13 min, Colour
Film: Farbtest. Die Rote Fahne, Gerd Conradt FRG 1968 | 13 min, Colour

Retrospektive von DOK Leipzig erkundet dritte Wege jenseits der bipolaren Machtblöcke im Kalten Krieg

Matinee Sächsisches Staatsarchiv flankiert die Reihe mit Beiträgen aus dem regionalen Amateurfilmschaffen

17.09.2024 Veranstaltungen
DOK Leipzig

Unter dem Titel „Dritte Wege in der zweigeteilten Welt. Utopien und Unterwanderungen“ setzt sich die Retrospektive von DOK Leipzig mit den ideologischen Frontbildungen im Kalten Krieg auseinander. Sie versammelt Filme, die verschiedene Bestrebungen nach Eigenständigkeit reflektieren oder Kommunismen und Sozialismen aus anderen Perspektiven in den Blick nehmen. Dabei steht auch die Festivalgeschichte von DOK Leipzig zur Diskussion.

Insbesondere nach dem sogenannten „Kahlschlagplenum“ der SED-Führung 1965 hatte sich die DDR-Maxime „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ auch auf die damalige „Internationale Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche“ ausgewirkt. Das Programm geht daher unter anderem der Frage nach, inwiefern jene Filme, die sich nicht in das Schema der zweigeteilten Welt einordnen ließen, etwa da sie innen- und kulturpolitische Liberalisierungstendenzen in den sozialistischen „Bruderländern“ erkennen ließen, in Leipzig gezeigt wurden – oder eben nicht. Zu sehen sind Werke von Jean Rouch, Peter Voigt, Dušan Makavejev und Volker „Via“ Lewandowsky. Eröffnet wird die von Filmkritikerin Sylvia Görke kuratierte Reihe mit „The Truth About Fidel Castro Revolution“ von Victor Pahlen (1959), einer Sympathiebekundung des US-amerikanischen Hollywoodstars Errol Flynn mit der Kubanischen Revolution, die 1960 in der dritten Ausgabe des Leipziger Festivals gezeigt wurde.

Die in der Retrospektive skizzierten „dritten Wege“ umfassen den postrevolutionären Kommunismus in Kuba, die filmhistorisch bedeutsamen Schwarzen Wellen in Jugoslawien und Polen sowie Positionierungen zum Nahostkonflikt als Nahtstelle zwischen den ideologischen Blöcken. Sie alle spiegeln auch „antiimperialistische“ Selbstverpflichtungen und Zäsuren in der Leipziger Festivalpolitik. Davon ausgehend beschäftigt sich die Retrospektive ebenfalls mit Filmen, deren Macher*innen oder Protagonist*innen in revolutionären Zusammenhängen standen, wie „Chile“ (1975) von Juan Forch, oder sich kritisch mit den bürokratisierten Strukturen ihrer eigenen sozialistischen Lebenswelt befassten, wie „Black Film“ (1971) von Želimir Žilnik oder „Refrain“ (1972) von Krzysztof Kieślowski.

In einigen Fällen zeigt sich erst im Rückblick auf die Filme ihr dissidentisches Potenzial. Zum Beispiel in Karlheinz Munds „15.000 Volt“ (1963), in dem Wolf Biermanns „Frühjahrslied der Eisenbahnerin“ zu hören ist – viele Jahre vor seiner Ausbürgerung aus der DDR. Oder in „Hello Cubans“ von Agnès Varda, der 1964 in Leipzig die Silberne Taube gewann, obwohl er eine Variante des gelebten Sozialismus zeigte, die die hiesigen ideologischen Verbündeten zwar faszinierte, aber auch irritierte. Eine andere, verspielte Form eines „dritten Weges“ zeichnen der Lehrfilm „Eine Sache, die sich versteht (15x)“ (1971) von Hartmut Bitomsky und Harun Farocki sowie „Associations“ (1975) des Briten John Smith. Beide Filme wurden zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung in Leipzig nicht gezeigt – was sich mutmaßlich nicht zuletzt auf ihre lakonisch-spöttischen Facetten zurückführen lässt.

„Wenn wir die geografischen Punkte, die dieses Programm abschreitet, miteinander verbinden würden, ergäbe sich eine ganz verrückte Landkarte, jedenfalls keine reine Ost-West-Achse“, so Kuratorin Sylvia Görke. In dem Zusammenspiel der Filme sieht sie zudem eine Verbindung zu aktuellen Entwicklungen: „Begriffe wie ‚dritter Weg‘ und ‚Alternative‘ sind in einem Kontext der Öffnung von ideologischen Schranken entstanden und sollten nun nicht ohne Weiteres Leuten überlassen werden, die sie für neue Beschränkungen in Stellung bringen.“

Die Matinee Sächsisches Staatsarchiv flankiert auch in diesem Jahr die Retrospektive thematisch. Unter dem Titel „Völker, hört die Signale! Die solidarische DDR“ präsentiert das von Konstantin Wiesinger kuratierte Programm Beispiele aus dem lokalen und regionalen Amateurfilmschaffen. Der Fokus der Arbeiten liegt auf der demonstrativen Verbundenheit der DDR mit den „unterdrückten Völkern“ der Welt und damit auf der Solidarität mit der vietnamesischen Befreiungsfront, dem chilenischen Präsidenten Salvador Allende oder der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Die filmischen Dokumente von Pionier-, Betriebs- und Freizeitfilmgruppen zeigen Begegnungen mit Menschen anderer Länder, etwa bei Freundschaftsbesuchen oder den Weltjugendspielen.

„Wenn auch nicht beabsichtigt, entstanden [dabei] oft schiefe Vergleiche, blinde Flecken und vereinnahmende Zuschreibungen“, so Wiesinger. „Zum Glück ist der Film als Medium – genau wie die gefilmte Realität – dann doch meistens mächtiger als das intendierte Drehbuch. Ungewollte Blicke und versehentliche Tragikomik führen Missverhältnisse vor Augen.“

Das vollständige Programm von DOK Leipzig inklusive aller Termine wird am 10. Oktober 2024 veröffentlicht. Gleichzeitig startet der Ticketverkauf.



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