In den vergangenen zwei Jahrzehnten widmete sich das Stadtgeschichtliche Museum kontinuierlich der Fotografie. In der Ausstellung präsentiert nun der bekannte Leipziger Maler Sighard Gille eine umfassende Schau seines fotografischen Werks mit der Lochkamera. Nicht das Dokumentarische steht hier im Zentrum, sondern das Künstlerische und in diesem Sinne etwas Ungewohntes, ja Befremdliches.
Die Camera obscura (lat. camera „Gewölbe“; obscura „dunkel“) gilt als einer der ersten Apparate zum Projizieren von Bildern. In einem dunklen Raum fällt durch ein kleines Loch etwas Licht. Das außen platzierte Objekt wird mittels der von ihm reflektierten Lichtstrahlen durch das Loch auf die gegenüberliegende Innenseite des Raumes projiziert. Dort wird es kopfüber und spiegelverkehrt sichtbar.
Gille beschäftigt sich seit 1989 intensiv mit der Frühform der Camera obscura: der Lochkamera. Statt eines Objektivs besitzt diese nur eine winzige Öffnung als Lochblende. Durch diese wird ein Rollfilm dahinter belichtet. Lochdurchmesser, Intensität des Lichtes und Belichtungsdauer beeinflussen diesen Prozess maßgeblich. Vor allem die Verfremdung bekannter Objekte, welche durch die signifikante Weichzeichnung der Lochkamera entsteht, fasziniert Gille. Typisch ist auch, dass Bewegungen nicht darstellt werden. Sie verwischen oder verschwinden auf der entwickelten Aufnahme fast vollständig. Wie eingefroren und scheinbar menschenleer erscheinen so Metropolen wie New York, Rom oder London. Die Unschärfe ist charakteristisch für diese Technik.
Gille gelang es, die Lochkamera-Technik zu einer eigenen Kunstform zu entwickeln und neue Bildkompositionen zu schaffen. Beginnend mit den Fotografien, die während seiner ersten New York-Reise 1996 entstanden, zeigt die Ausstellung rund 60 Werke aus den Städten Rom, Jerusalem, London und Hamburg, wobei er die Konstruktion der Kamera immer wieder modifizierte.
Die rund 60 Lochkamerafotos mit Leipziger Motiven werden erstmals präsentiert. Gilles Fokus liegt darauf, Vertrautes zu verfremden und zu einem veränderten Blick auf Altbekanntes anzuregen.
Der Künstler baut seine Lochkameras aus älteren Kameramodellen selbst. Er benutzt verschiedene Modelle, die mit einem Rollfilm im 6x6 Mittelformat mit 12 Aufnahmen ausgestattet sind. Dadurch sind die Negative handlicher und angenehmer zu verarbeiten und zu vergrößern. Die Lochkamerafotografien von Leipzig wurden alle mit der umgearbeiteten „Pouva Start“ aufgenommen. Der Künstler entfernte bei der Rollfilmkamera aus Bakelit das einfache, drehbare Objektiv und pikste ein kleines Loch in die Kamera. Der Rollfilm dahinter tut das Übrige. Mit seiner "Pouva Start" war Gille auch in New York, Hamburg, Jerusalem und Rom fotografisch unterwegs.
Einige Fotografien in der Ausstellung wurden zudem von Gille übermalt. Zwischen Malerei und der Arbeit mit der Lochkamera sieht der Künstler starke Parallelen und Wechselwirkungen. Die Lochkamera reduziert, nimmt weg, vereinfacht. Die Unschärfe dominiert und die Reduktion auf Hell-Dunkel, auf das Wesentliche, ist ausschlaggebend.
Mit rund 120 Fotografien setzt Gille die Wirkungsweise der Lochkamera kreativ um, überrascht durch die Verfremdung von bekannten Motiven und eröffnet dadurch dem Betrachter neue Ausdrucksformen und Blickwinkel für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Stadt.
Zur Ausstellung erscheint ein Begleitbuch: Sighard Gille: Camera Obscura. Leipzig, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Hrsg: Anselm Hartinger. Leipzig 2019, ISBN 78-9100034-82-2, 12,50 €