Am 8. Juni 2020 trafen sich rund ein Dutzend Menschen in der Max-Liebermann-Straße zu einer Mahnwache an einem neu gebauten Gebäudekomplex. Die Häuser sind mit gläsernen Schallschutzwänden verbunden, vor denen sich die Protestierer postierten. Vogelschützer vom Naturschutzbund NABU unterstützt von der Naturschutzjugend NAJU wollten auf die Todesfalle aufmerksam machen, vor der sie sich mit dem nötigen Sicherheitsabstand untereinander sowie mit Mund-Nasen-Bedeckung aufgestellt hatten. Sie trugen Plakate und an die glänzenden Scheiben hatten sie Folien geklebt mit den Worten: „An diesen Scheiben sterben täglich Vögel“.
Tatsächlich haben die Naturschützer im Verlauf der letzten Monate allein schon durch Zufallsfunde 23 tote Vögel eingesammelt. Die Tiere können die Glaswand nicht wahrnehmen und kollidieren im Flug mit den Scheiben. Hinter den Scheiben sind Bäume und Sträucher, vor den Scheiben ebenso, alles spiegelt sich im Glas – die Tiere haben keine Chance, die Gefahr zu erkennen. Die Kollision endet tödlich oder mit schweren Verletzungen. Jetzt in der Brutzeit sterben nach den Altvögeln auch die Jungen im Nest, die ohne ihre Eltern verhungern. Einige der toten Vögel wurden bei der Mahnwache auf dem Gehweg ausgebreitet, um auf das Tierleid aufmerksam zu machen.
Schon 2018 vor dem Baubeginn hatte der NABU Leipzig auf die Todesfalle hingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt hätte man problemlos Glas vorsehen können, das mit einem Muster bedruckt ist, um Vogelschlag zu verringern – es ist sehr bedauerlich und unverständlich, dass Architekten heutzutage nicht grundsätzlich solches Glas verwenden. Stattdessen wurden die Hinweise des NABU ignoriert und die gläserne Todesfalle wurde planmäßig errichtet. Als der NABU aufgrund der andauernden Verstöße gegen das Bundesnaturschutzgesetz die Naturschutzbehörde einschaltete, wurde versprochen mit unsichtbaren Aufklebern die Gefahr zu beseitigen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass solche unsichtbaren Aufkleber nicht helfen. Auch darauf hat der NABU hingewiesen und auf entsprechende Publikationen verwiesen. Dennoch wurden diese wirkungslosen Aufkleber angebracht – das Sterben ging weiter.
Der NABU Leipzig ist empört über die Ignoranz des Gebäudeeigentümers, den Langmut der Naturschutzbehörde und über den monatelangen gesetzeswidrigen Vogelmord. Die Mahnwache war eine Aufforderung an alle Verantwortlichen, endlich die Vögel zu schützen und das Naturschutzgesetz einzuhalten! Der NABU Leipzig hat bereits rechtliche Schritte angekündigt.
Viel Energie hat der NABU Leipzig bereits investiert, um an diesem Bauwerk für den Vogelschutz zu kämpfen – man muss bedenken, dass es dabei nur ein Gebäude von vielen ist, was die Sisyphosarbeit ehrenamtlicher Leipziger Naturschützer illustriert. Es wäre dringend notwendig, die Naturschutzbehörde in der Stadt Leipzig so aufzustellen, dass sie Verstöße gegen das Bundesnaturschutzgesetz wirksam verfolgen kann, und sie müsste es auch tatsächlich tun! Freude über „moderne“ Glasfassaden sind meist völlig fehl am Platze, wenn man sie als Todesfallen für Vögel konstruiert. Bei der Wildvogelhilfe des NABU Leipzig werden jedes Jahr hunderte Vögel nach Scheibenanflug gemeldet, die entweder verletzt abgegeben oder tot aufgefunden werden. Es ist unbegreiflich, dass Architekten hier nicht von vornherein den gesetzlich vorgeschriebenen Artenschutz berücksichtigen. Werden alle anderen Bauvorschriften eigentlich auch so leichtfertig ignoriert?