Die Leipziger Buchmesse präsentiert 2023 ein neues Format: Das Forum Offene Gesellschaft. Vom 27. bis 30. April stehen Diskurse zu drängenden gesellschaftlichen Fragen rund um Demokratie, Meinungsfreiheit, soziale Gerechtigkeit, Diskriminierung, Krieg und Integration im Fokus. Auf der Bühne diskutieren Autoren, Politiker, Wissenschaftler und Journalisten wie Patrick Bahners, Zoë Beck, Julia Ebner, Lena Falkenhagen, Gerd Koenen, Cansin Köktürk, Şeyda Kurt, Peter Laudenbach, Birte Meier, Kateryna Mishchenko, Monty Ott, Staatsministerin Claudia Roth, Bastian Schlange, Gilda Sahebi, Natascha Strobl, Ilija Trojanow, Harald Welzer, Liao Yiwu. Veranstaltungspartner für die Programmgestaltung sind unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, das PEN-Zentrum Deutschland, die IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, die Sächsische Akademie der Künste, der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie das Aktionsbündnis Verlage gegen Rechts.
"Nie war es wichtiger als jetzt, den drängenden Fragen unserer Zeit öffentlichen Raum zu geben", so Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse. "Unsere Gesellschaft zeigt an vielen Stellen zunehmende Zerrissenheit. Der gesellschaftliche Diskurs ist von wachsender Sorge vor Polarisierung geprägt. Auf der Leipziger Buchmesse möchten wir neue Sichtweisen und Perspektiven auf und für die Gesellschaft und unser Zusammenleben aktiv befördern. Unser neues Forum Offene Gesellschaft soll ein richtungsgebender Ort dafür sein."
Das Programm startet an den vier Messetagen um 10.30 Uhr mit einem morgendlichen Denkanstoß, um 14 Uhr steht ein Kurzfilm kuratiert vom Festival DOK Leipzig auf dem Programm. Um 17.15 Uhr wird von Donnerstag bis Samstag jeweils die Aufnahme eines Live-Podcasts zu erleben sein. Partner hierfür sind Piratensender Powerplay mit Samira El Ouassil und Friedemann Karig, der Quoted Medienpodcast mit Nadia Zaboura und Nils Minkmar sowie "Das große Ganze – der gesellschaftskritische Podcast" des MDR.
Der Wert von Demokratie und Dialog
In der vom PEN-Zentrum Deutschland konzipierten Veranstaltung "Reden wir. Über Demokratie" sprechen Staatsministerin Claudia Roth und Jan Philipp Reemtsma mit Exil-Schriftstellerinnen und -Schriftstellern, die in ihren Herkunftsländern Afghanistan und Türkei verfolgt werden, weil sie die Freiheit des Wortes reklamieren, über deren Blick auf die Demokratie in Deutschland. Täglich führt das PEN-Zentrum Deutschland einen "Dialog der Regionen" mit Autorinnen und Autoren aus Ländern wie Bosnien, China, Irak, Irland, Myanmar und der Ukraine. Dabei steht das freie Wort im Mittelpunkt, aktuelle und vergessene Kriege spielen ebenso eine Rolle wie die Frage, wie aus Nachbarn Feinde werden. Im Dialog stehen Friedenspreisträger Liao Yiwu und Ma Thida (PEN International / Beauftragte Writers in Prison), Pegah Edalatian (stellv. Bundesvorsitzende der Grünen) und Najem Wali (PEN-Präsidium), Dževad Karahasan und Hugo Hamilton sowie Svetlana Lavochkina und Ilija Trojanow. Auf einem von der Bundeszentrale für politische Bildung gestalteten Panel tauschen sich Katja Mishchenko aus der Ukraine und Slavenka Drakulić aus Kroatien über Kriegserfahrungen in Europa aus weiblicher Perspektive aus.
Die Deutschen, der Krieg und die Medien: Die IG Meinungsfreiheit des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels lädt den Historiker Gerd Koenen und den Soziologen Harald Welzer dazu ein, sich mit der Meinungsfreiheit auseinanderzusetzen, gerade vor dem Hintergrund des Angriffs Russlands auf die Ukraine. Zoë Beck, Mitgründerin des Aktionsbündnisses Verlage gegen Rechts, spricht mit Peter Laudenbach und Su Turhan über konkrete rechte Angriffe auf den Kulturbetrieb. Drei weitere Talks von #verlagegegenrechts thematisieren die Feministische Revolution im Iran (mit Sanaz Azimipour und Daniela Sepehri), die Idee der Vergesellschaftung (mit Bana Mahmood und Ines Schwerdtner) sowie Jüdisches Leben in Deutschland (mit Monty Ott und Ruben Gerczikow). Für den Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller schaut Vorsitzende Lena Falkenhagen gemeinsam mit Asal Dardan, Isabel Abedi und Gilda Sahebi auf die aktuelle Situation in Iran.
Die Bedeutung von Hass und Zorn
Über Hass und Nationalismus sprechen Şeyda Kurt und Patrick Bahners. Şeyda Kurt holt den Hass aus der Verbannung und begibt sich in ihrem neuen Buch auf die Spuren seines widerständigen Potentials. Patrick Bahners zeigt in seiner aktuellen Veröffentlichung auf, wie ein neuer und allgegenwärtiger Nationalismus die demokratische Kultur nachhaltig verändern wird. Zorn ist das Thema des Debütromans von Simone Atangana Bekono. Wie stark das Gefühl des Fremdseins ein Leben dominieren kann, bespricht die Autorin mit Bettina Baltschev, Kuratorin des zukünftigen Gastlandauftritts der Niederlande und Flandern auf der Leipziger Buchmesse 2024.
Fokus Forschung: Extremismus und Rassismus
Theorien und Forschungsansätze für eine zeitgemäße Rassismusforschung stellen Hayfat Hamidou-Schmidt (Uni Duisburg-Essen), Dr. Maria Alexopoulou (Uni Mannheim) und Dr. Noa Ha (DeZIM-Institut) vor. Über die Möglichkeiten, Rassismus ganz praktisch im Alltag zu erkennen und sich dagegen zu positionieren, sprechen Dr. Natascha A. Kelly und Shelly Kupferberg mit der norwegischen Schauspielerin und Autorin Tinashe Williamson, die mit "No to Racism!" ein Antirassismus-Handbuch für junge Leser veröffentlicht hat. Für die juristische Aufarbeitung der NS-Verbrechen hat Jan Sehn in Polen ähnlich hohe Bedeutung wie Fritz Bauer in der Bundesrepublik Deutschland. Beim Frankfurter Auschwitz-Prozess spielte Sehn eine wichtige Rolle, auf seine Vermittlung hin reiste eine Gerichtsdelegation an den Tatort der Verbrechen. Journalist und Wissenschaftler Filip Gańczak spricht über seine Jan-Sehn-Biografie mit Prof. Dr. Maren Röger, Direktorin des GWZO und Professorin für Geschichte des östlichen Europa/ Ostmitteleuropa an der Universität Leipzig.
Extremismusforscherin Julia Ebner erklärt im Gespräch mit Katharina Nocun, welche Strukturen und Mechanismen hinter Extremismus stehen und was wir als Gesellschaft tun können, im Ringen um Gerechtigkeit und Demokratie. Rechtsrock ist zentraler Botschafter einer menschenfeindlichen und antidemokratischen Ideologie. Michael Nattke vom Kulturbüro Sachsen und Steven Hummel von chronik.LE ordnen die Bedeutung der rechten Musikkultur für die organisierte extreme Rechte in Sachsen ein. Das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV gehört zu den maßgeblichen Faktencheck-Organisationen und kooperiert mit dem Social-Media-Unternehmen Meta, um auf Plattformen wie Facebook oder Instagram die Meinungsmonopole der Filterblasen zu durchbrechen. Bastian Schlange und David Schraven sprechen darüber, wie die Demokratie gegen Fakenews aus dem Internet geschützt werden kann.
Von Vielfalt und vom Wir
Natascha Strobl, die auch als Autorin des Gastlandes Osterreich in Leipzig zu Gast ist, plädiert für eine Änderung in der Art wie wir leben und wirtschaften. Die Lösung heißt echte Solidarität – ein kollektiver Wert, der individuelle Befindlichkeiten überwindet. Darüber spricht sie mit Autorin und Politikerin Cansin Köktürk, die bei ihrer täglichen Arbeit als Sozialarbeiterin die steigende Armut in Deutschland erlebt. Sie fordert eine Vermögenssteuer, ein bedingungsloses Grundeinkommen und offene Grenzen als Grundlage einer gerechten Gesellschaft. Hoffnung in verhärteten Zeiten geben Briefe, die Selma Wels in ihrem aktuellen Sammelband "anders bleiben" herausgegeben hat. 21 Beitragende gehen mit ihrem Gegenüber in intensive Zwiegespräche über ihr Dasein in der deutschen Gesellschaft. Stellvertretend auf der Bühne spricht Nava Ebrahimi, die sich in ihrem Brief an Dirk von Lowtzow wendet. Darüber und über ihre Perspektive auf das "Wir" als in Österreich lebende iranischstämmige Autorin spricht sie mit Selma Wels.
Die Queer Media Society und der Haymon Verlag fragen nach: Was bedeutet queere Sichtbarkeit für das Verlagswesen und den Literaturbetrieb? Über ein Programm jenseits von reiner Imagepflege diskutieren Katharina Schaller, Alexander Graeff und Christian Lütjens moderiert von Teresa Reichl. Gleiches Gehalt für Männer und Frauen fordert Birte Meier in ihrem Buch "Equal pay now!". Darüber, was wir als Gesellschaft jetzt tun können, spricht sie mit der Journalistin und Autorin Anne Dittmann. Eine Europäische Allianz der Akademien? Holk Freytag, Sächsische Akademie der Künste, spricht mit Martin Krafl, Tschechisches Zentrum für Literatur Prag; Cécile Wajsbrot, Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt, und Marion Döring, Vorstand der Wim-Wenders-Stiftung, über die Möglichkeiten gemeinsamen Engagements für die Freiheit der Künste in Europa.
Forum offene Gesellschaft kooperiert mit DOK Leipzig
Das von DOK Leipzig kuratierte Filmprogramm spürt generationenübergreifenden Erinnerungen, Erfahrungen und Traumata nach: "We have one heart" von Katarzyna Warzecha erzählt eine unterbrochene polnisch-irakische Familiengeschichte; "Armat" von Èlodie Dermange begleitet eine junge Schweizerin auf der Suche nach ihren armenischen Wurzeln; "Biegen und Brechen" von Falk Schuster und Mike Plitt gibt Einblick in Kindheitserinnerungen an einen DDR-Jugendwerkhof; Lukas Marxt "Marine Target" lässt Dinge für sich sprechen, Replikas der Bomben von Hiroshima und Nagasaki, die in den USA für ballistische Tests abgeworfen wurden und noch immer im Saltonsee schwimmen.
Die Leipziger Buchmesse öffnet vom 27. bis 30. April. Das Forum Offene Gesellschaft findet sich in Halle 4, am Stand E101. Alle Infos zum Programm sowie Tickets unter www.leipziger-buchmesse.de.