„Das Konzept ist aufgegangen“ freut sich Marit Schulz von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH und Leiterin Lichtfest Leipzig, am Abend des 9. Oktober. Erstmals gab es beim Lichtfest kein Bühnenprogramm, sondern drei dezentrale Lichtprojekte innerhalb des Innenstadtrings: Auf dem Augustusplatz, dem Burgplatz und dem Richard-Wagner-Platz präsentierten internationale Künstlerteams ihren Blick auf den Herbst ‘89. Ebenfalls neu: die Gäste waren ausdrücklich eingeladen, aktiv mitzumachen. So setzte sich der partizipative Ansatz - alle Künstler hatten im Vorfeld Workshops mit lokalen Partnern - auch am Lichtfestabend fort.
Spielerisch-künstlerische Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart
Sehr viele Besucherinnen und Besucher nutzten den Abend, um die Lichtinstallationen in loser Reihenfolge aufzusuchen - und selbst Teil der Kunst zu werden: Am Augustusplatz galt es, ein weißes Banner in die Projektion zu halten, um so die Bilder der Videoinstallation „WIR SIND“ (Künstler: Glowing Bulbs / Budapest) überhaupt erst sichtbar zu machen. Viele folgten der Einladung der Künstler, griffen ein Banner und komplettierten damit die Installation. Sie formten sich zu einer friedlichen Demonstration in Erinnerung an jene, die sich im Herbst ‘89 so mutig zusammengefunden hatten.
Auch „89 Stimmen“ auf dem Richard-Wagner-Platz, inszeniert von Loomaland, Berlin, brauchte die Menschen und brachte sie in Bewegung: Um die Textzitate, die ausschließlich von Frauen stammten, auf Boden und Wänden zum Vorschein zu bringen, mussten die Menschen den Platz betreten und von den Wärmebildkameras erfasst werden. Erst dann wurden die Zitate der an der Friedlichen Revolution beteiligten Frauen sicht- und lesbar.
Die Rotunde des spanischen Künstlerteams „Brut Deluxe“ (Madrid) mitten auf dem Burgplatz lud zum Betreten und spielerischen Reflektieren ein. „Bin ich drin oder draußen? Auf welcher Seite stehe ich? Was passiert, wenn man die Perspektive wechselt?“ waren hier die Grundfragen, die auch das Thema Umwelt im Blick hatten. Lokale Initiativen hatten einen Teil der Installation mit recycelten Materialien gestaltet. An allen drei Standorten hatten die Menschen sichtlich Vergnügen daran, die Installationen zu entdecken und für sich in Besitz zu nehmen, sich ungezwungen, aber gleichzeitig künstlerisch mit Geschichte und Gegenwart auseinanderzusetzen. Alle Künstlerteams waren begeistert vom riesigen Publikumsinteresse und der regen Interaktion an den Lichtprojekten.
Stimmungsvolle Eröffnung am Nikolaikirchhof
Eröffnet wurde der Abend mit kurzen Grußworten auf dem Nikolaikirchhof. Dort stand auch die traditionelle Kerzen-89, die von den zahlreichen Besucherinnen und Besuchern mit tausenden Teelichtern zum Leuchten gebracht wurde.
Oberbürgermeister Burkhard Jung begrüßte die Leipzigerinnen und Leipziger und Gäste der Stadt. Froh und dankbar, dass es in diesem Jahr wieder möglich war, mit vielen Teilnehmern daran zu erinnern, „was für ein unglaubliches Wunder am 9. Oktober 1989 geschehen ist – wie Menschen friedfertig ein System weggefegt haben“. Er erinnerte aber auch an die Ereignisse auf dem Maidan, die eben nicht friedlich waren, und an das Attentat auf die Synagoge von Halle am 9. Oktober 2019 und mahnte zu friedfertigem, aber entschiedenem Handeln: „Antisemitismus und Rassismus haben keinen Platz in unserer Gesellschaft. Man kann die Welt ohne Gewalt verändern“.
Vitali Klitschko, Bürgermeister von Leipzigs Partnerstadt Kiew, hatte zuvor in der Nikolaikirche die „Rede zur Demokratie“ gehalten, und zog beim Streiten für Werte den Vergleich zu seiner Zeit als aktiver Boxer: „Der Sport ist zu Ende, aber der Kampf geht weiter. Und der Kampf im politischen Ring ist sehr viel schwieriger. Man muss seine Werte und Visionen verteidigen, darf nicht aufgeben und muss weiterkämpfen.“ Klitschko dankte abschließend für die erfahrene Unterstützung: „Wir brachen Freunde. Ohne Freunde wird es schwierig“.
„Unvorstellbar, unvorhersehbar und beglückend“
Gisela Kallenbach, Bürgerrechtlerin in der ehemaligen DDR, erinnerte an die Ereignisse des Herbstes ‘89, speziell an die angespannte Situation am 9. Oktober, der dann wider aller Ängste und Erwartungen friedlich endete: „Weil dies so unvorstellbar, so unvorhersehbar und so beglückend war, deshalb versammeln wir uns hier und heute.“ Sie konstatierte „Unsere Friedliche Revolution war nicht perfekt; aber es liegt an uns, jeden Tag neu zu streiten und uns einzubringen, damit auch 32 Jahre später gesellschaftliche Teilhabe, Solidarität, soziale Gerechtigkeit und allem voran der Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen lebensbestimmend wird.“ Und sie verwies zugleich auf Länder wie Belarus, Myanmar, Afghanistan und die Ukraine, die in genau diesem Bestreben aufmerksam auf Leipzig blicken.
Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer betonte, dass Demokratie immer wieder aufs Neue verteidigt werden muss. Das Gedenken an den 9. Oktober könne man nutzen, um dafür Kraft zu tanken, es sei Ermutigung und Auftrag für die Zukunft. Er appellierte, im Gespräch zu bleiben, aber auch mutig zu widersprechen: „Die Wahrheit muss im Mittelpunkt stehen, nicht die Lüge. Das Konstruktive, nicht die Zerstörung. Das Verbindende.“ Im Anschluss an die Grußworte nahm sich Kretschmer Zeit für einen Rundgang zu den Installationen und nutzte die Gelegenheit zum Gespräch mit den Künstlern.
„Wir sind sehr dankbar, dass das neue Format so gut angenommen wurde und freuen uns, dass an allen drei Standorten sehr viele Besucherinnen und Besucher die Installationen für sich in Besitz nahmen. Eine genaue Besucherzahl lässt sich auf Grund des dezentralen Ansatzes und der mehrstündigen Veranstaltungsdauer so wie der hohen „Mobilität“ der Besucher natürlich nicht sagen. Aber wir ziehen auf jeden Fall eine überaus positive Bilanz.“ schätze Marit Schulz das Lichtfest 2021 abschließend ein.