Hannah Hallermann verbindet in ihrer Praxis häufig Alltagsgegenstände mit komplexen, sozialen Fragestellungen unserer Gegenwart zu einer ihr eigenen Form „sozialer Plastik“. In der interaktiven Installation ‚Agent‘ (2021) werden Besucher:innen eingeladen, an einem kollektiven Entscheidungsprozess teilzunehmen, in dem die Spannungen von globalen Problematiken und der Hoffnung auf sozialen Wandel durchschlagend greifbar gemacht werden. Ein geladener Sportbogen ist mit einem Display verbunden, auf dem Teilnehmer:innen von Hallermann formulierte Fragen beantworten. „Ist eine kritische Mehrheit für eine der Antwortmöglichkeiten erreicht, löst sich automatisch ein Schuss und wird zum physischen Boten einer Entscheidung.“
Der Pfeil schlägt in die Lamellen eines dicken, blauen Schlachtervorhangs ein, löst Wellenbewegungen in alle Richtungen aus und einen Durchbruch zu einem anderen Raum oder Zustand. „Agent” verbindet die Vorstellung einer autonom agierenden Maschine mit der Kraft von menschlichen Gedanken- und Entscheidungsprozessen. Das Werk kann eine Aufforderung zum Handeln und gleichzeitig ein Impuls sein, sich selbst als Teil eines Netzwerks zu sehen.“ * Abschließend finden die Besucher:innen sich mit der Frage konfrontiert: ARE YOU SATISFIED WITH YOUR DECISION?
Für den Projektraum ANNA in Leipzig dreht Hannah Hallermann die Arbeit um: Nun steht am Anfang der Begegnung die Konfrontation mit der Konsequenz der eigenen Entscheidung: ARE YOU SATISFIED WITH YOUR DECISION? wird gefragt, bevor wir die Frage kennen, über die wir entscheiden sollen. Dabei stehen wir vor riesigen blauen Vorhängen. Der Vorhang an sich ist ein fast schon zu vertrautes Symbol aus Kunstgeschichte und Traumdeutung. Von Tizian über Jung bis Felix Gonzales Torres - immer wieder scheint der Vorhang dazu zu dienen, die Fragen zu stellen: Was wird verdeckt? Was geschützt? Und vor allem: Was liegt dahinter, was kommt als Nächstes? Der Vorhang als Metapher eines Zwischenstadiums - als Übergang vom Bekannten zum Unbekannten, vom Vertrauten in die Ungewissheit. Wer sich den Fragen stellen will, muss durch. Dabei teilt er/sie vorübergehend die Form des Vorhangs und der Frage, transformiert.
Beide Formen des Agenten zielen auf den Butterfly-Effekt ab, der besagt, dass bereits eine kleine Veränderung der Ausgangsbedingungen die weitere Entwicklung eines Systems unvorhersehbar macht. So wird die Verortung in Übergängen und Widersprüchen zum Ziel. Das beinhaltet in der aktuellen Weltlage die Inspiration zum Aufbruch in die Unsicherheit, die Überwindung der Angst vor Fehlern und Kurskorrekturen und zur ständigen Überprüfung der eigenen Haltung.
*Saskia Trebing über Hannah Hallermann in “Tools and Tales for Transformation” ,2022, Hatje Cantz
Hannah Hallermann, PVC
11. November - 31. Dezember 2022
ANNA
Max-Beckmann-Straße 22
04109 Leipzig
www.annaleipzig.de