Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig widmet sich mit der Intervention »AUSGESTELLT UND ANGESTAUNT« Menschen, Technik & Traditionen auf der Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung („STIGA“) 1897. Die Ausstellung findet vom 6. Juli bis 31. Oktober 2022 in der Ständigen Ausstellung »Moderne Zeiten« im Alten Rathaus statt. Sie ist ein Programmpunkt im städtischen Themenjahr 2022 »Leipzig. Freiraum für Bildung«.
Die Sächsisch-Thüringische Industrie- und Gewerbeausstellung 1897 war eine Großveranstaltung, die vor 125 Jahren ein Millionenpublikum im Herzen Leipzigs in ihren Bann zog. Sie war angelehnt an große Weltausstellungen und bot Superlative. Etwa 2,3 Millionen Gäste bestaunten hier neueste Technik, kamen zur Unterhaltung und Vergnügen. Deren Dimensionen, aber auch kritische Seiten des Ausgestelltseins zeigt das Museum in einer Intervention im Alten Rathaus.
Warum verehrten viele Leipziger Bürger damals Bismarck? Wegen welcher Krankheit musste die Messe ausfallen? Hatte Leipzig ein besonders Bierprivileg? Solche Fragen können die Museumsgäste dabei selbst erraten und hochwertige Eintrittskarten in Leipziger Kulturorte gewinnen.
1897 war Leipzig mitten im Wachstum und Wandel. Industrie und Technik boomten. Die Gewerbeausstellung schaute zugleich zurück in die Geschichte der Messestadt. Historischer Anlass war die 400. Wiederkehr des kaiserlichen Privilegs 1497, mit dem auf große Traditionen der Warenmesse verwiesen werden konnte. Das war nötig: Die Konkurrenz in neuen Industriezentren oder der Reichshauptstadt Berlin war am Start, Leipzig den Rang abzulaufen. Daher wurde 1895 hier die moderne Mustermesse konzipiert. Sie führte zu einem großen Umbau der Altstadt und dem Entstehen der Messehäuser. Das prägt Leipzig bis heute. Das Bürgertum wollte mit dieser Industrieausstellung mithalten mit anderen solchen Großveranstaltungen, von den gezeigten Produkten über Technologien bis zu Vergnügungsmöglichkeiten. Man präsentierte sich sozusagen schon damals als „The better Berlin“ und formulierte ein lang wirkendes Stadt-Image.
Die für Leipzig so wichtige Messe entwickelte sich rund ums Jubiläumsjahr zur modernen Musterschau. Angeregt vom Handelsbürgertum, betonte die Industrieausstellung die wirtschaftliche Bedeutung Mitteldeutschlands für das Deutsche Reich, auch gegenüber der Konkurrenz. Viele innovative Firmen, auch aus Leipzig, präsentierten ihre Leistungen. Sie beruhten auf dem positiven Gründungsklima der Stadt und politischer Förderung. Modernste Ausstellungsmittel zeigten den Boom von Industrie und Technik in Kontrast zu historischen Architekturen, dörflichem Leben – und Menschen aus Ostafrika.
Die als Menschenschau aufgebaute Deutsch-Ostafrikanische Ausstellung (DOAA) als Teil der Industrieausstellung STIGA war eine entmenschlichende Ausstellung zur Belustigung des weißen Publikums. 47 Ostafrikanerinnen und Ostafrikaner waren dafür nach Leipzig gebracht worden. Sie wurden als Teil einer vermeintlich idyllischen deutschen Kolonialherrschaft zur Schau gestellt. „Wer die Entstehung des gegenwärtigen Rassismus verstehen will, muss meines Erachtens genau in diese Epoche der Geschichte schauen“. so Tania Kolbe, Mitglied der AG Colonial Memory ReTelling: DOAA Leipzig. Im Alten Rathaus stellt die Intervention bewusst die Perspektive der ausgestellten Personen in den Vordergrund statt der vermeintlich "objektiven" weißen Geschichtsschreibung. „Dieses damalige Bild vom Menschen – den Kolonisierten, den sich als überlegen empfindenden Besucher – wollen wir heute in Zusammenarbeit mit der AG kritisch zeigen.“, so Dr. Johanna Sänger, Kuratorin der Intervention.
Dazu kommen noch weitere Menschenbilder in diesem großen Vergnügungspark, denn auch das war die Industrieausstellung: Kostümierte, die sich als Händler, Schankmädchen oder Ritter aus einer heilen Vergangenheit zeigten oder Thüringer Bauersleute. Wie in einem Themenpark wurde ein Bild von Stadt und Land, Moderne und Vergangenheit und letztlich auch Rassendenken vorgeführt. Lebensweisen, Technik und Traditionen wurden hier zu einem Spiegel ihrer Zeit.
Die Intervention des Stadtgeschichtlichen Museums „stört“ damit in ihrer Ständigen Ausstellung »Moderne Zeiten«. Im Alten Rathaus suchen diese Bilder und Objekte Kontraste zu den bekannten Stadtansichten und Exponaten. Fotos, Pläne, Souvenirs, aber auch einer Maschine oder selbst einem Sportgerät oder Klavier zeigen noch heute, was die STIGA damals für die Menschen bedeutete: Das Erlebnis von modernen Technologien wie elektrischem Licht und Antrieb, in der Industrie genau wie im Alltag.
Zum Ausstellungsrundgang erhält jeder Gast zudem ein Quiz, womit er die Ausstellung besser kennenlernen kann und auf sein Wissen rund um die STIGA testen kann.
Im Rahmen des Begleitprogramms finden bereits ab Mittwoch, den 6.7., um 15 Uhr und 17 Uhr geführte Rundgänge durch die Ausstellung statt.